Die Stadtverwaltung hat dem Gemeinderat ein 165 Seiten starken Kulturkonzept mit Handlungsempfehlungen vorgelegt. Das Konzept wurde vom Gemeinderat zur Kenntnis genommen.

Ziel des Konzeptes: Es sollen Leitlinien für eine zukunftsfähige und zeitgemäße Kulturförderpolitik formuliert, die kulturellen Rahmenbedingungen neu gestaltet, Infrastrukturmaßnahmen priorisiert und daraus dann „inhaltliche Schwerpunktsetzungen für die kommenden 15 bis 20 Jahre“ abgeleitet werden.

Als Vorstandsmitglied der „ Freunde des Hohentwiel e.V.“ war ich zu einem der Workshops zu diesem Thema eingeladen und habe deshalb das Konzept nach Aussagen zum Thema Hohentwiel durchforstet. Hier das Ergebnis:

Aussagen des Kulturkonzeptes zum Thema Hohentwiel

Das Kulturkonzept spiegelt die ambivalente Haltung der Stadt zum Hohentwiel wieder:

Handlungsfelder mit Bezug zum Hohentwiel

Unter „ 2.9 Handlungsfeld IX: Sehnsuchtsort Hohentwiel – Handlungsziel:
Singen füllt die Beziehung der Singener zu ihrem Hausberg mit Leben.“

wird auch auf den Hohentwiel Bezug genommen:

  • Die „Anbindung“ der Stadt an den Hohentwiel wird zwar angesprochen, aber „ eine wirkliche Lösung (könne) …. nicht abgeleitet werden, da die Anforderungen eher in Richtung Infrastrukturlösungen oder Vermarktungsmaßnahmen gehen“ (Seite 44) und diese fielen nicht „ in den Zuständigkeitsbereich der Kulturkonzeption“.Auch sei „der „Schmerz“ der Singener ob des „abgekoppelten“ Hohentwiel“ … gar nicht recht nachvollziehbar“. Allenfalls Maßnahmen zur Überarbeitung des Hohentwiel-Festivals seien denkbar. Aber auch hier solle „man seinen Frieden mit dem Status Quo machen“! (Seite 45). Ein Schulterschluss sei allenfalls „im utopischen und ideellen Raum herzustellen“.
  • Denkbar wären „ganz generell Formate, Veranstaltungen und Projekte, die den Hohentwiel in den Mittelpunkt stellen oder Veranstaltungen auf dem Hohentwiel, die seiner Atmosphäre und seinem Ambiente mehr entsprechen als ein Open Air Festival, für das jedes Jahr eine extrem aufwändige Infrastruktur auf dem Berg gebaut werden muss“ .
  • Das Kapitel schließt mit dem wenig befriedenden Hinweis, dass „So gesehen …. der Hohentwiel wohl Sehnsuchtsort bleiben“ wird (Seite 46).

Aber ganz um die Änderung des Status Quo kommt die Kulturkonzeption dann doch nicht herum: Immerhin habe sich gezeigt, dass der Hohentwiel trotzdem ein Thema sei, denn in den Workshops und der Bürgerbefragung habe sich ein „Handlungsbedarf auch zum Thema „touristische Anbindung der Festungsruine an die Kernstadt“ ergeben.

Unter „4.1 Stadt im Schatten des Hohentwiel“ (Seite 61)

  • Stellt das Konzept fest, dass „man … die Beziehung der Singener zu“ zu „ihrer“ Burg durchaus gespalten bezeichnen kann, „zumal die Festung nicht der Stadt, sondern dem Land Baden-Württemberg“ gehöre“(Seite 82).

Diese Meinung folgt leider zu der allgemein gängigen – und bequemen – Einstellung, dass man wegen der Zuständigkeit des Landes und des Widerstandes „des Naturschutzes“ leider nichts machen könne.

Die Kulturkonzeption bewertet den Faktor Kultur und die dahinter stehenden Anstrengungen der zuständigen Abteilungen insgesamt sehr positiv, während im nur angesprochenen Tourismusbereich erhebliche Defizite gesehen werden.

Sonstiges:

  • Seite 87/88:
    Beunruhigend ist, dass „Singen von den Einheimischen eher mit rationalen Faktoren wie Industrie und Einkaufen in Verbindung gebracht“ wird:„Mehr emotional wirkende Aspekte, die insbesondere für die touristische Vermarktung entscheidend sind, können eher auf den hinteren Rängen wie z.B. Sehenswürdigkeiten, Grünanlagen, Stadt- und Fassadenbild und Gastronomie“ festgestellt werden.“
  • „Als Urlaubsziel wird Singen von den Einheimischen wie den Auswärtigen bislang an letzter (!) Stelle gesehen. Im Vergleich mit den pittoresken Nachbarstädten entlang des Bodensees, die alleine durch ihr Erscheinungsbild punkten können …“. fehle es in Singen an „ Lebensqualität und Atmosphäre. Überhaupt überschätzen die Einheimischen das Angebot der Stadt im Vergleich mit Touristen.“ Dieser Wert belege, „dass Singen insbesondere an seiner Außenkommunikation arbeiten“ müsse.
  • Singen wird von Einheimischen und Auswärtigen also vor allem als Industriestadt und Einkaufsziel gesehen. Aber gerade diese beiden Felder verlieren derzeit stark an Bedeutung, während der in Singen (Hohentwiel) offensichtlich vernachlässigte Tourismus weltweit massiv an Bedeutung gewinnt.Dies und der Hinweis auf das zweifelhafte Erscheinungsbild der Stadt , sollte den politisch Verantwortlichen zu denken geben
  • Seite 143:
    „Das Burgfest …. Ist das einzige Event, das es wirklich versteht, den Berg mit der Stadt zu verbinden.“

Über 73 % der Einheimischen geben an, „dass sie während des Festivals wenigstens ab und zu den Weg den Berg hinauf unternehmen“. …

Die herausragende Stellung des Burgfestes belegt, dass Einheimische und Auswärtige die Angebote sehr zu schätzen wissen, wenn es sie denn gibt und nicht auf wenige Tage im Jahr beschränkt bleiben. Der Hohentwiel böte ein hohes kulturelles und touristisches Potential von dem vor allem auch die Stadt selbst profitieren könnte – wenn sie sich endlich stärker mit dem Hohentwiel identifizieren würde.

  • Seite 151: Erste Schritte zur Umsetzung der Kulturkonzeption… Der Hohentwiel als städtische Kultureinrichtung ?
  • Seite 153: Gestaltung des öffentlichen Raumes:
  • Es werden erstaunlicherweise nur
  • Das Singener Schloss im Zusammenhang mit dem zu gestaltenden Stadtmuseum und
  • Die Musikinsel

als bedeutsame öffentliche Räume aufgeführt !, während der Hohentwiel mit seinen jährlich über 200.000 Besuchern nicht zum öffentlichen Raum der Stadt gehören soll! Wo, wenn nicht hier, lässt sich eine Identität entwickeln?

Um die genannten Defizite in der Außendarstellung der Stadt zu beseitigen, wird die Entwicklung neuer Formate und Angebote vorgeschlagen, zum Beispiel

Seite 16:

„Auch temporäre Lichtkunstprojekte ` ! mit namhaften Lichtkünstlern könnten das Profil Singens als Kunststadt mit einem Fokus auf den öffentlichen Raum schärfen.“

Was wäre um und auf dem Hohentwiel möglich?

Die Freunde des Hohentwiel haben sich intensiv mit der touristischen und kulturellen Aufwertung des Hohentwiel beschäftigt und eine ganze Reihe von Zielen und Vorschlägen vor gelegt. Zum Beispiel :

  • Herstellung eines senioren- und behindertengerechte Zugangs zur unteren und oberen Festung
  • Bau einer Toilettenanlage und Unterstellmöglichkeiten auf der Karlsbastion
  • Lösung des Parkplatzproblems
  • Neugestaltung der Domäne
  • Beleuchtung von Teilen der Festung (nicht des Berges). etc..

Auch hier ergeben sich natürlich große Überschneidungen der beiden Aufgabenbereiche. Ohne ausreichende touristische Infrastruktur ist eine Ausweitung des kulturellen Angebots nicht möglich.

Erweiterung des Kulturangebotes durch die verstärkte Einbeziehung des Hohentwiel

Noch punktet die Stadt, unbestritten, mit ihren „weichen Faktoren“ wie dem zu Recht hoch gelobten öffentlichen und privaten Kunst- und Kulturangebot in der Stadt Singen.  Burgfest, Museums- und Theaternacht etc. finden großen Zuspruch, erfordern aber einen ständigen hohen personellen und finanziellen Aufwand.

„Harte Faktoren“ dagegen, wie ein attraktives Erscheinungsbild der Stadt, attraktive Fassaden, städtische Grünanlagen und Parks, Angebote, die die Stadt von sich aus attraktiv machen, die zu einem Besuch der Stadt verlocken, stehen dagegen nicht im Vordergrund.

Es stellt sich daher die Frage, wie diese Defizite ausgeglichen werden können? Wie kann eine Atmosphäre geschaffen werden, die die Stadt auf eine gleiche Stufe hebt wie ihre Nachbarstädte? Sich in ihrem Erscheinungsbild in die Nachbarstädte einreiht?

Was kann die Stadt ebenbürtig bieten? Sie sogar krönen? Warum nicht den „König der Hegauberge“, den Hohentwiel, stärker in das Kultur- und Tourismusangebot der Stadt einbeziehen ?

Die Kulturkonzeption verweist bereits eingangs auf Lichtinstallationen und -projekte, ohne jedoch die einfachste und wirksamste Möglichkeit auch nur zu erwähnen. Die Beleuchtung von Teilen der Festungsruine als weithin sichtbares Signal, das die Stadt in das Umland versenden kann. Eine Leuchtturmfunktion für Singen.

Die Stadt Stein am Rhein hat ihre Burg Hohenklingen festlich dekoriert, die Stadt Lörrach benutzt die Burg Rötteln für Kunstaktionen – gemeinsam mit der Schlösser- und Gärtenverwaltung Baden-Württemberg! Weltweit wird Licht eingesetzt um stimmungsvolle Atmosphäre zu schaffen. Am 10.12. wurden bundesweit alle wichtigen Gebäude blau angestrahlt um an das Inkrafttreten der Menschenrechte vor 70 Jahren zu erinnern. Der Hohentwiel hätte dies im gesamten westlichen Bodenseeraum sichtbar machen können.

Die Beleuchtung der Festungsanlage wäre eine große Chance, sich nicht nur in weltweite Aktionen einzureihen, sondern auch für lokale Aktionen zu werben (Martinimarkt, Fasnacht, Tag der Offenen Tür etc..).

Die Festungsanlage wird jährlich, trotz schwierigster Zugangsmöglichkeiten und fehlender dauerhafter Anbindung an öffentlichen Personennahverkehr, von über 200.000 Menschen aus aller Welt besucht. Ein unglaubliches, bislang ungenutztes Potential. Es gibt nicht einmal Willkommensgrüße der Stadt auf dem Berg bzw. in der Festung.

Der zaghafte Umgang der Kulturkonzeption mit dem Thema „Hohentwiel“ ist symptomatisch für den jahrzehntelangen Umgang der Stadt mit „ihrem Hausberg“. Es gibt ihn, er ist sogar bei der überwiegenden Mehrheit sehr beliebt, immerhin besuchen laut Kulturkonzept 86 % der Einheimischen häufig bis gelegentlich den Hohentwiel (Seite 144). Aber neue und innovative Wege zu gehen, um seine Zugänglichkeit für alle Bevölkerungs- und Tourismusgruppen zu verbessern und gar die Neugier für seine einzigartige Geschichte zu wecken ? Fehlanzeige.

Wieso soll der „Schulterschluss“ zwischen Stadt und Hohentwiel „Utopie“ bleiben? Warum soll man sich mit dem Status Quo zufrieden geben? Wohl, weil es für alle Beteiligten der bequemste Weg ist? Wieso soll ausgerechnet die Stadt Singen (Hohentwiel) bei den oben nachgewiesenen erheblichen Optimierungsmöglichkeiten darauf verzichten, ihr einzigartiges Kulturdenkmal hervorzuheben?

Es gibt keinen „Schmerz“ der Singener wegen des „abgekoppelten“ Hohentwiel, es gibt ei nen Schmerz wegen der von Verwaltung und Behörden erzwungenen Abkoppelung. Warum wird hier keine moderne touristische Infrastruktur gestattet? , geschweige denn ausgebaut? Warum muss das einzigartige Kulturdenkmal, dessen Hervorhebung auch die Stadt selbst insgesamt hervorheben würde, im Sommer hinter Grün und im Winter im Dunkeln versteckt werden?

Kein Mensch begreift, dass ausgerechnet in einer Stadt, der laut Kulturkonzept eine gewachsene Atmosphäre per se – von sich heraus – fehlt, auf eine so einfache wie wirksame Möglichkeit wie die Beleuchtung der Festungsruine verzichtet werden soll ? Dass allein die Erwähnung des Wortes schon ein düsteres Raunen und Entsetzen auslöst?

Des Rätsels Lösung ?:

Walter Möll, der ehemalige Kulturamtsleiter der Stadt Singen (Hohentwiel), hat in seinem Beitrag zur Singener Stadtgeschichte Band 3 (1994; Seite 487 ff) „Nach 24 Jahren alles vorbei?“ den möglichen Hintergrund der Denkblockade aufgezeigt: „Eine vor knapp 30 Jahren im Auftrag der Stadt (!) von einem Geografiestudenten erstellte, sogenannte Umweltverträglichkeitsprüfung hat in der Folge zu massiven Einschränkungen nicht nur des Hohentwiel-Festivals, sondern der ganzen touristischen Infrastruktur geführt. Dies, obwohl der Verfasser selbst niemals das Festival besucht hat. Der Auftrag war erteilt worden, weil Bürger der Stadt beantragt hatten, das touristische Angebot, insbesondere die gastronomische Situation zu überdenken. Gelungen ist damals lediglich die Umnutzung des zur Unterbringung von Spätaussiedlern genutzten Gebäudes des Landes Baden-Württemberg, das an die Stadt Singen verpachtet worden ist, in die heutige Hohentwiel-Gaststätte.

Auch viele aus dem Gutachten von Dritten gezogenen Schlussfolgerungen haben sich als falsch bzw. überholt erwiesen. Die hartnäckig behauptete, angebliche Vertreibung von Vögeln durch Tourismus und Kulturveranstaltungen ist zwischenzeitlich widerlegt: Das Verschwinden der Vögel ist vielmehr Teil des weltweiten, durch völlig andere Faktoren bedingten Vogelrückgangs. Durch die geduldete Ausweitung des Bannwaldes wurden zudem die Lebensräume der seltenen Flora und Fauna stark eingeschränkt oder sogar zerstört.

Siehe dazu die Stellungnahme unseres Vereins zum Managementplan des Regierungspräsidiums Freiburg auf unserer Webseite.

Die in der zweifelhaften Umweltverträglichkeitsprüfung vor fast 30 Jahren zusammengetragenen Erkenntnisse haben seither alle Überlegungen zur Integration des Hohentwiel in die Stadt Singen massiv blockiert. Zum Nachteil der Stadt und ihrer Bevölkerung.

Aus Angst um die – in der Kulturkonzeption in Frage gestellte – Open Air Konzerte und das Burgfest hat die Stadt seither darauf verzichtet, die Integration des Hohentwiel weiter voran zu treiben. Selbst die Kulturkonzeption zeigt, wie schnell Fakemeldungen aufgegriffen werden. Ein Beispiel ist das auf Seite 45 aufgeführte „Freischneiden des Hohentwiel“. Dies wird von niemandem vorgeschlagen, aber ungeprüft übernommen und sorgt zuverlässig für irrationale Widerstände.

Dabei zeigen Beispiele in anderen Landesteilen (zum Beispiel Schwetzingen), dass sich Tourismus, Denkmalschutz, Naturschutz und Naherholung durchaus vereinbaren lassen.

Aber ob man möchte oder nicht, die Stadt Singen wird um eine Diskussion über die Zukunft des Hohentwiel nicht herum kommen. Sie kann es sich angesichts des in der Kulturkonzeption aufgezeigten Defizite hinsichtlich des Erscheinungsbildes nicht leisten, das Thema weiterhin „links liegen“ zu lassen. Dass sich hier offensichtlich kulturelle und touristische Aufgaben überschneiden, darf nicht dazu führen, dass der jeweils andere Aufgabenträger als zuständig betrachtet wird und so keiner wirklich zuständig und damit verantwortlich ist.

Fazit:

Es gibt nirgendwo, wie von uns mehrfach vorgeschlagen, eine/n Ansprechpartner bzw. –
partnerin, der bzw. die insgesamt für die Entwicklung des Hohentwiel zuständig ist. Dies gilt nicht nur Kultur und Tourismus, sondern für die gesamte Kulturlandschaft um den Hohentwiel. Es gibt viele staatliche und halbstaatliche Institutionen, die ihre jeweiligen Einzelinteressen vertreten, aber keine Institution, die sich fachübergreifend für den Hohentwiel einsetzt. Als Dr. Kessinger für sein Digitales Hohentwielmodell Unterlagen bzw. Zustimmungen benötigte, musste er gleich mit 5 Behörden verhandeln.

Deshalb schlagen wir zur Ergänzung des Kulturkonzeptes vor, dass für den Hohentwiel ein eigenes, umfassendes städtisches Kultur- und Tourismuskonzept entwickelt wird, unter Einbeziehung aller Bürger der Stadt und des Umlandes.

Stellungnahme als PDF-Dokument herunterladen